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Rechtsprechungsänderung

Schmerzensgeld auch für Verletzungen bei rechtmäßigen Behördenmaßnahmen möglich, so jetzt der Bundesgerichtshof (BGH).

 

Der BGH hat entschieden, dass der Anspruch auf Entschädigung für hoheitliche Eingriffe in Leben, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit (sog. Aufopferung) auch einen Schmerzensgeldanspruch umfasst (Urteil vom 07.09.2017, III ZR 71/17).

Sachverhalt: Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen einer Verletzung, die er bei einem Polizeieinsatz erlitt. Nach einem Schuss aus einem Pkw auf ein Döner-Restaurant entdeckte eine Polizeistreife auf einem Tankstellengelände das mutmaßliche Tatfahrzeug. Weil auch die grobe Personenbeschreibung der Täter auf den Kläger und seinen Begleiter passte, gingen die Polizeibeamten davon aus, dass es sich bei ihnen um die Tatverdächtigen handele. Nachdem eine weitere Streifenwagenbesatzung zur Verstärkung eingetroffen war, liefen die Polizeibeamten in den Tankstellenverkaufsraum. Da sie vermuteten, der Kläger und dessen Mitarbeiter führten eine Schusswaffe mit sich, forderten sie zur Eigensicherung beide auf, die Hände hoch zu nehmen, brachten sie zu Boden und legten ihnen Handschellen an. Dabei erlitt der Kläger eine Schulterverletzung. Es stellte sich alsbald heraus, dass er und sein Begleiter mit der Schussabgabe nichts zu tun hatten. Der Kläger verlangt Ersatz des aufgrund der Verletzung erlittenen Vermögensschadens und ein Schmerzensgeld.

Prozessverlauf: Die Vorinstanzen haben angenommen, die Polizeibeamten hätten zwar rechtmäßig unmittelbaren Zwang zur Durchsetzung einer Identitätsfeststellung gemäß § 163b Abs. 1 StPO angewendet. Jedoch habe der Kläger einen Entschädigungsanspruch aus Aufopferung. Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haben das Land- und das Oberlandesgericht allerdings nur einen Ausgleich für den erlittenen materiellen Schaden zuerkannt. Die Schmerzensforderung haben sie für unbegründet gehalten.

Die Entscheidung des BGH: Dieser hat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung darauf erkannt, dass der Entschädigungsanspruch aus Aufopferung auch den Ausgleich immaterieller Schäden, mithin auch ein Schmerzensgeld, umfasst. Von einem Willen des Gesetzgebers, die Ersatzpflicht bei Eingriffen in immaterielle Rechtsgüter grundsätzlich auf daraus folgende Vermögensschäden zu beschränken, könne nicht mehr ausgegangen werden. Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I S. 2674) und der hierdurch bewirkten Ausweitung des Schmerzensgeldanspruchs infolge der Änderung des § 253 BGB habe der Gesetzgeber den Grundsatz, auf den der BGH seine frühere Rechtsprechung gestützt habe, verlassen.

Bei Interesse an weiteren Einzelheiten finden Sie die Pressemitteilung zu der zum Zeitpunkt der Einstellung dieses Artikels noch nicht veröffentlichten Entscheidung über den nachstehenden Link.